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Ein Pfarrer, der die Kirche rockt

Alexandra Welsch/Frankfurter Rundschau

2. Dez. 2015

Kirchgänger mit Rock-Faible: Das Bandprojekt von Gerhard Schnitzspahn entzückt die Johannesgemeinde

Wenn das Bandprojekt „Deep Organ On Rock“ um den Johanneskirchenpfarrer Gerhard Schnitzspahn loslegt, tönen Rockhits von der Kirchenempore. Und das kommt an, ist es doch für viele Kirchgänger von heute die Musik, mit der sie aufgewachsen sind. Der Schlagzeuger haut seine Sticks aneinander und treibt mit Beckenhieben einen bohrenden Orgellauf an. Eine E-Gitarre schraubt sich rein, baut Spannung auf mit langgezogenen Solotönen, bis der Beat einsetzt und das Stück zu laufen beginnt. Das Saxofon steuert die Gesangslinie bei, die im Original die Stimme von Carlos Santana singt: „I got a black magic woman.“


Den Hit der Latinrockband „Santana“ zu covern, ist nichts Außergewöhnliches. Das besondere aber in diesem Fall ist, das sich das Ganze nicht etwa in der Bessunger Knabenschule abspielt oder auf einer Bühne beim Heinerfest: Nein, die Nummer tönt von einer Kirchenempore, gespielt von Musikern des Projekts „D.O.O.R.“ – das steht für „Deep Organ On Rock“ und ist eine unkonventionelle Fusion aus Kirchenorgel und Rockmusik.


Treibende Kräfte dahinter sind Gerhard Schnitzspahn, seit 2006 Pfarrer der evangelischen Johannesgemeinde, und Bernhardt Brand-Hofmeister (32), seit 2011 Organist in der Johanneskirche. Schnitzspahn (57) ist passionierter Rockmusik-Fan und E-Gitarrist und hat sich in der Gemeinde schon länger einen Ruf als Rock’n’Roll-Pfarrer erspielt, der in Gottesdiensten gerne mal neue Klangpfade beschreitet.


"Highway to Hell" vor dem Altar ist tabu


Brand-Hofmeister reizt es schon immer, bei der Kirchenorgelmusik über den Tellerrand zu schauen und das Instrument neben den traditionellen Spielarten auch freimütig und experimentell einzusetzen. „Mein Leitspruch ist: Man kann alles auf Kirchenorgel spielen“, sagt der Organistensohn. Sämtliche Musik auf Orgel zu Gehör zu bringen, „das ist mein Spaß und mein Leben“.


Erleben konnte man das etwa schon bei Stummfilmnächten in der Johanneskirche, wo er zu Streifen wie „Metropolis“ oder „Ben Hur“ Improvisationen zum besten gab. Klingt irgendwie nach Darmstädter Kirche für neue Orgelmusik, oder? Der junge Mann grinst: „Ja, so in der Richtung habe ich’s vor.“


Und mit dem rockenden Pfarrer Schnitzspahn hat der offensichtlich einen Bruder im Geiste gefunden. Das „D.O.O.R.“-Projekt, in dem allesamt Kirchenmänner mit immer mal wieder wechselnder Besetzung mitmachen, gibt es seit 2007. Doch nachdem die Combo in den ersten Jahren meist im Rahmen einer „Nacht der Kirchen“ aufgetreten ist, wird sie mittlerweile auch unabhängig davon als Act gebucht. Für 2016 beispielsweise sind sie für die Pfungstädter Kerb angefragt. Und das findet Schnitzspahn gar nicht abwegig: „Kerb ist ja Kirchweih.“

Der Pfarrer hält es eher für naheliegend, Rockmusik in die Kirche zu tragen. Er verweist auf das Leitbild der Johanneskirche: „Bei Gott und den Menschen zu Hause.“ Da sollte man ruhig auch bei der Kirchenmusik dem sprichwörtlichen Volk auf den Mund schauen. Und von diejenigen, die in die Kirche kämen, seien nun mal viele im Alter ab 60 Jahren. „Die sind mit dieser Musik groß geworden. Wie alt sind denn die Stones? Alle über 70.“


"Kirchenmusik ist auch Verkündung"


Dass es nicht wenige Kirchgänger mit Rock-Faible gibt, hat sich laut Schnitzspahns Erzählungen bei ihren Auftritten von Anfang an bestätigt. Er denkt da etwa an ihr erstes solitäres Kirchenkonzert: Da seien Menschen mit Rollator gekommen – und er habe noch befürchtet, die wollten jetzt Bach hören. „Die kamen aber wegen Deep Purple.“ Im Grunde müsse man in der gesamten Seniorenarbeit umdenken.

Doch derlei alternative Ansätze in einem stark traditionell besetzten Raum kommen freilich nicht bei jedem gut an. „Es gibt auch Stimmen, die finden das schwierig“, weiß Schnitzspahn. „Und in manchen Kreisen gilt Schlagzeug als Teufelswerk.“ Aber für den Pfarrer gilt grundsätzlich: „Kirchenmusik ist auch Verkündung.“ Und was sie mit dem „D.O.O.R.“-Projekt verkünden wollten, sei Lebensfreude.


Dass die Texte in der Rockmusik gerne auch mal anderes übermitteln, ist ein kritischer Punkt. In „Black Magic Woman“ etwa singt Carlos Santana übersetzt: „Sie versucht einen Teufel aus mir zu machen.“ Gerhard Schnitzspahn spricht da von einer Gratwanderung. Und für ihn gibt es da ganz klare Grenzen: „Ich würde mich immer weigern, ‚Highway to Hell‘“ zu spielen.“ Die von AC/DC besungene „Schnellstraße in die Hölle“ sei für ihn die falsche Botschaft. „Ich will eher den ‚Highway to Heaven‘.“ (aw)


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